Virtual Klezmer

On the Roof

(Besprechung: Gus)

The fiddler on the Roof
oder:
Der New-Yorker Versuch einer Musical-Interpretation

“The fiddler on the Roof” basiert auf der Geschichte “Tevye und seine Töchter” von Sholom Aleichem und wurde am 22. September 1964 mit Zero Mostel in der Hauptrolle am Broadway uraufgeführt. (Buch: Joseph Stein; Musik: Jerry Bock)

Es war eines der ersten kommerziell erfolgreichen Musicals auf dem Broadway, gewann unzählige Preise und wurde zu einem der meist gespielten Musicals überhaupt.

 

Kurze Zusammenfassung der Handlung:

“The fiddler on the Roof” spielt in einer armen jüdischen Familie im kleinen Dorf Anatevka zur Zeit des zaristischen Rußlands (etwa 1905). Zentrale Personen sind Tevye und dessen 5 ledige Töchter. Tevye versucht die familiäre Tradition aufrecht zu erhalten in Zeiten des gesellschaftlichen Wandels und der Unsicherheit. Ernsthafte Probleme treten auf, als sich seine älteste Tochter in einen armen Schneider verliebt und nicht den auserwählten Metzger heiraten will. Tevye's gerät in den Konflikt, sich entscheiden zu müssen zwischen dem Glück der Tochter und den überlieferten Traditionen. Währenddessen wird das ursprüngliche Leben durch die neuen Entwicklungen und die Verfolgung der Juden bedroht.

Ein Musical über Tradition, die Macht der Liebe und dem Kampf der beiden Kräfte.


Teil 1

Fiddler On The Roof: The Original Broadway Cast Recording

(Original-Album aus 1964 – RCA-Victor Dynagroove recording LSO-1093))

Der Klassiker schlechthin in der Broadway-Fassung. Es hat auch einen Film und weitere Inszenierungen des Musikals gegeben und entsprechend auch unterschiedliche Veröffentlichungen auf Tonträgern.

Über die Güte und Relevanz des Musikals wurde viel geschrieben. Meiner Meinung nach auch heute noch interessant, nicht nur aus “geschichtlichen” Gesichtspunkten.

 

 

Lieder:

  1. Tradition (6.50)
  2. Matchmaker, Matchmaker (3.39)
  3. If I Were A Rich Man (4.52)
  4. Sabbath Prayer (2.22)
  5. To Life (4.08)
  6. Miracles Of Miracles (1.58)
  7. Tevye’s dream (the tailer motel Kamzoil) (6.07)
  8. Sunrise, Sunset (3.30)
  9. Now I Have Everything (2.00)
  10. Do You Love Me? (3.04)
  11. Far From The Home I Love (3.25)
  12. Anatevka (3.05)

 

Teil 2

Knitting on the Roof

Nach mehr als 35 Jahren haben sich eine ganze Reihe illustrer Musiker aus New York zusammengefunden um das möglicherweise etwas ergraute Musical sagen wir “modern” zu interpretieren. Der New Yorker Jazz-Klub Knitting Factory (mit eigenem Plattenlabel) ist schon seit geraumer Zeit bekannt dafür, nicht nur in der Jazz-Szene neue Akzente zu setzen. Auch viele in New-York lebende jüdische Musiker (und New-York ist bekanntlich die größte jüdische Gemeinde außerhalb Israels), die sich künstlerisch / zeitgemäß mit der Musik ihrer Vorväter auseinandersetzen, haben dort ein Forum gefunden (nicht nur eine Bühne).

  Ich halte den weiten Kreis jüdischer Musiker aus New-York, die auch immer wieder in der Knitting Factory auftreten für eine der interessantesten Entwicklungen zeitgenössischer Musik schlechthin (von moderner Klassik in der sich z.B. der virtuose Klarinettist David Krakauer versucht, bis hin zum Avandgard-Jazz des Saxophonisten und Masterminds John Zorn. Oder: Guy Klucevsec, Marc Ribot, Anthony Coleman, usw. usw.)
 

Lieder:

  1. Tradition (4.34) - New Orleans Klezmer All Stars
  2. Matchmaker (3.16) - The Residents
  3. If I Were A Rich Man (5.08) - Magnetic fields
  4. Sabbath Prayer (3.52) - Uri Caine
  5. To Life (3.59 ) - Naftule’s Dream
  6. Miracle of Miracles (4.30 ) - Dr. Eugene Chadbourne
  7. Tevye's Dream (3.57) - Negativland
  8. Sunrise, Sunset (3.16) - Jill Sobule
  9. Wedding Celebration (4.43) - Hasidic New Wave
  10. Do You Love Me? (4.09) - Come
  11. Far From The Home I Love (3.04) - David S. Ware
  12. Chava Ballet Sequence (4.50) - Elliott Sharp
  13. Anatevka (7.22) - Matt Darriau’s Paradox Trio

Unter dem “Dach” der Knitting Factory haben sich zu dem Projekt “Knitting on the roof” nicht nur New-Yorker Größen zusammengefunden, sondern auch renommierte Musiker aus den Bereichen Pop, Independent und experimentelle elektronische Musik wurden gewonnen.

Daher möchte ich im folgenden nicht nur auf die Stücke, sondern auch auf die jeweiligen Interpreten selbst kurz eingehen:


Besprechung einzelner Stücke und deren Interpreten:

Die Melodie des Stückes Tradition ist in der Version der New Orleans Klezmer All Stars noch klar zu erkennen, die schräg quäkende Klarinette, Schlagzeug und die E-Gitarre schaffen ein sehr flottes fast, anstrengendes Klangebilde. Die New Orleans Klezmer All Stars sind eine der interessantesten modernen Klezmer-Gruppen (offizielle Homepage der Gruppe: www.klezmers.com)

Matchmaker: Die Gruppe the Residents ist eine der Pioniere der elektronischen Musik (sie kommen aus der Gegend um Los Angeles). Sie sind schon seit Ende der 60er Jahre sehr aktiv und haben weit mehr als 50 Tonträger veröffentlicht. Keiner kennt ihre wahre Identität und sie legen großen Wert auf den Mythos, der sich seit Bestehen der Gruppe um deren Mitgliedern rankt. Daher treten sie auch stets in Verkleidung auf – ihr Erkennungszeichen sind die “Augen-“ Kostüme.

  (Es gehen Gerüchte, daß seit bestehen der Gruppe einige Mitglieder ausgetauscht wurden, aber nichts genaues weiß man eben nicht.) Meiner bescheidenen Ansicht nach sind die Konzeptplatten “Constantinopel”, “God in three persons”, “Eskimo” und “the commercial album” die interessantesten Veröffentlichungen dieser ausgezeichneten und wichtigen Gruppe. (Eigentlich sollte jeder Musikliebhaber diese Gruppe zumindest vom Namen her kennen!) Ihre Version des Stückes vom Heiratsvermittler gefällt mir nicht 100%; die verfälschten Stimmen gehen bald auf die Nerven. (Offizielle Homepage der Residents: http://www.residents.com)

 

If I Were A Rich Man ist ein besonders schönes Stück mit einer wunderbaren Melodie und einem tollen Text. Die Gruppe Magnetic fields konzentriert sich auf die Essenz des Liedes und ihnen gelingt ein Höhepunkt der CD! Die tiefe rauchige Stimme von Stephin Merritt nur begleitet von John Woo auf dem Banjo schaffen die Atmosphäre eines verregneten Oktobertages – einfach genial. Dieses Stück alleine würde diese CD schon rechtfertigen. (Übrigens hat magnetic fields vor kurzem – Anfang 2000 – eine interessante CD-Box “69 love songs” veröffentlicht. Kann ich Liebhabern von Minimal- Independent nur empfehlen. (Magnetic fields kleine aber feine Fansite: http://www.trouserarousal.net/magfields/mf.html weiterführende Artikel in der Zeitschrift rolling stone: http://www.rollingstone.com)  

 
  Sabbath Prayer - Der Pianist Uri Caine hat in letzter Zeit für viel Trubel gesorgt mit seinen “klassischen” Interpretationen Gustav Mahlers wird hier gesanglich von Lorin Sklamberg unterstützt, dem Sänger der Klezmatics. Caine spielt großartig und Sklamberg ist sowieso eine begnadeter Klezmer-Stimme. Sie spielen zusammen eine ruhige poetische Reinterpretation - Da braucht man nicht viel zu sagen – Großartig. (Internet-Seiten zu Caine: http://www.steppinin.com/ucbio.html)

Die Gruppe Naftule's Dream steht für sehr moderne und freie Klezmer-Musik beeinflußt von free-jazz a la Ornette Coleman oder Cycil Tailor. Ihre Version des Stückes To Life ist dementsprechend “ungewöhnlich”. Eher was für Freunde der extremen Musik – selbst mir zu unmelodisch; (Die Gruppe im Internet: http://www.steppinin.com/ndbio.html)  

  Dr. Eugene Chadbourne scheint ein ziemlich schräger Vogel zu sein. Ich kannte ihn vorher nicht. Miracle of Miracles ist jedoch nicht uninteressant, leicht folkig angehaucht mit Banjo und Gitarre – dazu das abgefahrerene Gesinge – gar nicht mal so schlecht. Zumindest sehr amüsant. (Fansite zum Künstler: http://wymple.gs.net/~aaswell/eugene.html viele weitere Infos unter: http://www.fuzzlogic.com/argus/c/Chadbourne,Eugene.shtml)

Tevye's Dream ist weniger ein Lied, sondern vielmehr eine sehr farbige Tonkollage, die sogar gelegentlich entfernt an das Musical-Original erinnert. Die experimentelle Gruppe Negativland mischt gelegentlich Radiokommentare, Karneval-artigen Tumult, Lachen und viele weitere ein. “Mazel-Tov Mazel-Tov” wird gerappt – in Zeitlupe, verzerrt, geschnitten, zerrissen und wieder von vorne – wer sich darauf einläßt erhält quasi eine Achterbahnfahrt umsonst. Spielfreude: 100%; (geniale homepage von Negativland: http://www.negativland.com/)  

  Sunrise, Sunset von Jill Sobule ist neben magnetic fields If I Were A Rich Man der weitere eindeutige Höhepunkt dieses farbenfrohen CD. Jill singt dieses oft gespielte und oft zersungene Stück unglaublich behutsam und gefühlvoll. Der Text kommt voll zum Ausdruck. Ein wunderschöner Popsong. Schlußtext des Stückes: “Layed in with happiness and tears” – treffender kann man die Interpretation nicht beschreiben. (offizielle Site von Jill Sobule: http://www.jillsobule.com/; gute Fansite: http://members.home.net/martinrussell/sobule.html)

Das Stück Wedding Celebration haben sich Hasidic New Wave angenommen, die Gruppe um den Trompeter Frank London. Sie haben inzwischen selbst vier Platten veröffentlicht und stehen für sehr freie und moderne Interpretationen einer klezmer-artigen Musik. Wedding Celebration ist eine lebhafte, freche und laute Version. Auch eher was für ein dickes Fell...

Die Gruppe Come nimmt ihren Auftrag, das Stück Do You Love Me? zu spielen humorvoll. In einem Café zwischen einem Toast und einem Kaffee geht er zum Telefon: Do You Love Me? als verfremdetes Telefonat umrandet von der Klarinette Thalia Zedek’s und der Gitarre von Chris Brokaw. Nu ja. Fragwürdig.

Far From The Home I Love
nimmt David S. Ware zum Anlaß für ein ausgedehntes Saxophon-Solo. Leider kenne ich den Musiker nicht, aber er scheint ein ausgezeichneter Jazzer zu sein mit viel Gefühl für Intonation. Ein ruhiges Stück wie eine nasse Straße downtown New York. (Eine kurze Einführung zu Ware findet sich unter http://www.aumfidelity.com/david-s-ware.html)
 

  Elliott Sharp ist ein wichtiger experimenteller Musiker aus dem Knitting-factory- Dunstkreis der neben vielen eigenen Projekten auch bei einer Reihe jüdischer Angelegenheiten mitgewirkt hat (Bsp.: Geduldig un Thiemann: “a haymish groove”) Chava Ballet Sequence ist eine langgezogene Gitarren- Phantasie. Mir kann sie nicht so recht zusagen. Zu wenig Melodie und ein verwirrender Rhythmus. Zu unklar bleibt die musikalische Aussage. Eher ein schwächeres Stück der CD. Es paßt auch überhaupt nicht zum Rest der CD. (offizielle Site von Elliott Sharp: http://www.algonet.se/~repple/esharp/es.html)

Anatevka erkennt man nicht so recht wieder. Dennoch schafft Matt Darriau mit seinem Paradox Trio eine stellenweise fast arabisch angehauchte musikalsische Homage an das Dorf Anatevka. Vielschichtig, sehr modern.  

Fazit:

Ein starkes Stück Musik. Viele gewichtige Musiker wurden für das Projekt engagiert. Und genau darin liegt auch die große Schwäche der CD. So gut die einzelnen Stücke auch sein mögen, so fällt es schwer, die CD als ein einheitliches Werk zu sehen. Das geht gar nicht. Jedes Stück steht für sich und damit zerfällt die CD in ein bunt schillerndes Mosaik bei dem die einzelnen Teile wunderschöne Steine zusammengenommen kein klares Bild ergeben.

Daher sei jedem empfohlen, der ein kondensiertes Extrakt moderner jüdisch inspirierter Musik zu sich zu nehmen bereit ist, die Stücke nicht nacheinander abzuspielen, sondern zeitlich getrennt.

Die CD ist ein Sampler mit Motto. Gut, mit Klezmer hat das wenig zu tun, das gebe ich zu. Aber was ist schon Klezmer??? Ist Klezmer heutzutage nicht mehr eine Idee als ein konkretes Gebilde - Ein Ahnung, ein Schatten mehr als ein Gesicht?

Bewertung:
5-ausgezeichnet
 Interpretation
5-ausgezeichnet Virtuosität
4-sehr gut Spielfreude
3-gut Aufmachung

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