Virtual Klezmer

Chicago Klezmer Ensemble
Sweet home Bukovina

(Besprechung: Gus)

Kurt Bjorling hat als Kopf und Gründer des Chicago Klezmer Ensembles im Jahre 1984 eine Gruppe geschaffen, die traditionelle Klezmer-Musik osteuropäischen Ursprungs spielen, wobei sie eine moderne jüdisch-amerikanische Interpretation der Stücke vornehmen. Insofern handelt es sich weder um reine Traditionalisten und auch nicht um Klezmer-Avangardisten, sondern um eine etwa gleichgewichtige Mischung.
Kurt Bjorling hat früher bei den Klezmatics gespielt und ist auch auf deren erster Platte (“Shvaygn=Toyt”) zu hören. Seine Stelle bei den Klezmatics hat der geniale Klarinettist David Krakauer übernommen.
Die meisten Mitglieder der Gruppe sind Nicht-Juden.

Die Besetzung:
Kurt Bjorling (Klarinette, Tsimbel, Accordeon)
Eve Monzingo (Klarinette, Klavier)
Joshua Huppert (Geige)
Deborah Strauss (Geige)
Alan Ehrich (Bass)

 

Lieder:

  1. Doyna und Sirba Populara (6.40)
  2. Sweet home Bukovina (7.14)
  3. Mazeltov (4.25)
  4. Rumeynisher Bulgarish (3.45)
  5. Hora Monzingo (5.29)
  6. Yosl Ber (5.09)
  7. Yismekhu V’malkhuskho (2.48)
  8. Trinkt Briderlakh (6.41)
  9. Shadeshudes (5.30)
  10. A Hora mit Tsibeles (6.22)
  11. A yidishe Neshome (4.42)
Chicago-klezmer-Ensemble-Sweet-home-Bukovina
 

Kommentar zu einzelnen Stücken:

Doyna und Sirba Populara ist eine Suite bestehend aus 3 Teilen. Das Forshpil wird durch die Geigerin Deborah Strauss eingeleitet, die darauf folgende Doina spielt Kurt Bjorling auf der Klarinette. Den dritten Teil bildet die Sirba, ein Tanz.

Sweet home Bukovina ist ein Medley ebenfalls aus 3 Teilen. Der erste Teil “der Arbeiter” wurde 1912 von dem Belf’s Rumanian Orchestra aufgenommen uns stammt aus “international hebrew wedding music” von W.N. Kostakowski. Der zweite Teil “Nokh Havdole” wurde 1916 von Abe Schwartz eingespielt und tauchen in den Transkriptionen von Moshe Beregovski  auf; ebenso der dritte Teil des Stückes.

Von dem Stück Mazeltov gibt es offensichtlich keine alten Aufnamen. Lediglich in der Sammlung von Moshe Beregovski taucht es auf. Beregovski war nebenbei gesagt ein wichtiger russischer Musikethnologe (auch wenn es den Begriff damals noch nicht gab), der in den 20- und 30 Jahren unseres Jahrhundert umfangreiche Sammlungen jüdischer Lieder und Instrumentalweisen angelegt hat. Eine der wichtigsten Quellen heutiger Musiker.

Hora Monzingo wurde von Eve Monzingo komponiert. Der erste Teil des Stückes ist ein langsamer rumänischer Hora, der zweite ein flotter Tanz. Mein persönliches Lieblingsstück auf der CD.

Yosl Ber ist ein Stück über Joseph den Bären, der sich für einen Soldaten hält weil er Baracken fegt. Zumindest ist es die Melodie des humoristischen Liedes.

Yismekhu V’malkhuskho ist ein Duett von Deborah Strauss auf der Geige und der Tsimbel. Die Melodie stammt von Shloymke Beckerman aus dem Jahr 1923.

Trinkt Briderlakh ist ein Trinklied, das beim Zusammensein jüdischer Männer gespielt wird (natürlich nur als Ausdruck extatischer Religiosität...). Der erste Teil ist eine langsame Hora, der zweite ein schneller Tanz.

Shadeshudes ist auch ein Stück von Eve Monzingo; eine freie Improvisation auf der Klarinette.

A Hora mit Tsibeles ist ein Klassiker von Naftule Brandwein (auch auf der CD “King of the klezmer clarinet” zu finden). Meiner bescheidenen Ansicht nach geht der lebhafte Charakter ganz verloren. Technisch gut gespielt aber leblos.

A yidishe Neshome (eine jüdische Seele) wurde von Kurt Bjorling komponiert. Klarinette und Geige als Melodieinstrumente spielen diese Improvisation mit ständigen Wechseln in Betonung und Schnelligkeit. Ein schönes Stück.

Fazit:
Das Chicago Klezmer Orchester spielt Klezmer wie ein Kammermusik-Ensemble. Mehr eine Musik zum Anhören und weniger zum Tanzen. Technisch ist es absolut einwandfrei gespielter Klezmer, mir sind die Aufnahmen aber zu klinisch - stinken quasi nach Chloroform. In den Liner-Notes zu der CD ist ein längerer, allerdings absolut nichtssagender Artikel von Walter Zev Feldman enthalten (der sogar ins Französische und Deutsche übersetzt wurde). Ansonsten enthält das booklet ausführliche Informationen zu den einzelnen Liedern.

Bewertung:


Heiko hat eine kritische Stellungname zu obiger Kritik von Gus geschrieben, und zwar in Form eines Briefes. Diesen hier in ungekürzter Fassung:

Geschätzter Gus,

Deine Rezension der ersten Platte des Chicago Klezmer Ensembles repräsentiert eine Richtung, denn vielleicht unbewußt schlägst Du Dich damit auf eine bestimmte Seite des Klezmer-Revivals. Indikator dafür sind auch die Sätze:

“Kurt Bjorling hat früher bei den Klezmatics gespielt und ist auch auf deren erster Platte (”Shvaygn=Toyt”) zu hören. Seine Stelle bei den Klezmatics hat der geniale Klarinettist David Krakauer übernommen.”

Von den Fakten her richtig, unterstellt er jedoch, daß Bjorling zugunsten des genialeren David Krakauer gefeuert wurde. Dabei wird vergessen, daß die `Matics ein Klarinettisten-Problem haben: während die Band stabil in ihrer Besetzung verblieb, spielte vor Bjorling Margot Leverett in der Band, nach Bjorling David Krakauer, der die Band vor zwei Jahren verließ und halbherzig (nicht alle Bandmitglieder wollten ihn) von Matt Darriau ersetzt wurde. Krakauer im Gegensatz zu Bjorling als “den genialen Klarinettisten” zu bezeichnen, ist unfair. Salopp gesagt, Krakauer spielt in der NBA, Bjorling in der NFA, und beide spielen sie in der Spitzengruppe ihrer Liga. Mit den `Matics war Bjorling kurz in der NBA.

Das CKE versucht (und das haben sie mit Budowitz gemeinsam), anhand alter Aufnahmen und musikethnologischer regionaler Forschungen den Klang von Klezmer-Musik in Europa vor Edison und Emil Berliner nachzuvollziehen. Dabei beschränken sie sich nicht auf traditionelle Kompositionen (obwohl sie davon ein eindrucksvolles Archiv besitzen), sondern verinnerlichen diesen Stil derart, daß ihre Neukompositionen sich nahtlos einfügen (A Yidishe Neshome klingt für manche fast schon zu jüdisch). Das ist, was Feldman meint wenn er sagt, daß man die Band nicht unter Traditionalisten oder Erneuerer einstufen kann.

Der Vorwurf, diese Art von Klezmer-Musik sei langweilig ist selbst langweilig und kann leicht widerlegt werden. Die Tage der jüdischen Kultur in Chemnitz ziehen wahrlich keine Freunde der Kammermusik, und im Juni 1999 brachte das CKE bei ihrem ersten Europa-Auftritt den gesamten Saal zum Swingen. Denn sobald man sich auf diese Musik einläßt, wird man Zeuge einer akkustischen und rhythmischen Dynamik, die seinesgleichen sucht (mit Ausnahme vielleicht von Brave Old World, deren Klarinettist Bjorling auch ist, und deren musikalischer Leiter Alan Bern ein ähnliches Konzept von Dynamik hat). Die Arrangements des CKE haben in der Regel eine Spannung, wie sie bei guter Konzertmusik vorkommt. Sicher ist es keine vordergründige Tanzmusik, diesen Anspruch hat sich die Band nie gestellt, auch keine Party-Musik, was sie von den `Matics unterscheidet. Aber neben BOW ist das CKE eines der besten Konzertensembles.

Zev Feldman ist Musikethnologe und einer der theoretischen und musikalischen Köpfe des Revivals. Als Wissenschaftler hat er womöglich nicht jene entzündende Sprache, die junge Menschen im Bann hält. Aber was er sagt, ist relevant. Er kennt Bjorling und die Band lang. Feldmans Platte mit Andy Statman gehört immer noch zum besten, was das Revival hervorgebracht hat.

Wie Du gemerkt hast, kam mein Statement aus der Deiner gegenüberliegenden Richtung. In der Mitte treffen wir uns!

Bewertung:
6-hervorragend

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