Re: Entfremdung der traditionellen Klezmermusik!?


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Abgeschickt von Marcel am 20 November, 2002 um 14:22:37

Antwort auf: Entfremdung der traditionellen Klezmermusik!? von Nadja am 17 November, 2002 um 15:07:50:

: hallo allerseits!
: zur zeit arbeite ich an einem referat über alt und neu in der klezmer musik. ich beschäftige mich damit, inwieweit elemente anderer musikstile der klezmer musik hinzugefügt werden dürfen, ohne sie dabei zu entfremeden. und wann der begriff klezmer überhaupt noch verwendet werden darf.
: ein beispiel wäre natürlich giora feidman, aber sicherlich auch einige neuere gruppen aus deutschland.
: da ich mich in der klezmer szene noch nicht so gut auskenne, aber auch um andere argumente zur entfremdung, bzw. erweiterung von klezmer zu hören, würde ich mich freuen, wenn sie mir ihre meinung zu diesem thema mitteilen.
: vielen dank im voraus,
: nadja

Hallo Nadja,

der Kampf zwischen Traditionalisten und Progressiven ist nicht nur in der Musik sehr verbreitet. Ich denke beide Lager sind wichtig, Leute die das alte bewahren und "unverfälscht", wenn man das überhaupt sagen kann, weiterpflegen, aber auch Leute, die das alte weiterentwickeln und anderen Einflüssen aussetzen. Wobei die Pflege alter Traditionen eine typische Erscheinung der letzten 200 Jahre ist. Ich glaube den Volksmusikanten davor war das ziemlich egal. Etwas sehr fruchtbares kann daraus werden, wenn beide Seiten konstruktiv miteinander arbeiten und voneinander lernen. So haben die ersten Musiker des Klezmer-Revivals in Amerika erst einmal nur alte Platten nachgespielt, bzw. sind bei alten Klezmorim in die Lehre gegangen. Beispielhaft ist hier die Zusammenarbeit von Andy Statman, ursprünglich eigentlich Jazz- und Bluegrassmusiker und dem alten Meisterklezmer Dave Tarras. Später hat dann genau diese Generation von Klezmer-Musikern angefangen mit den traditionellen Formen zu experimentieren.

In Deutschland haben wir in den letzten 50 Jahre massive Probleme mit unserer Volksmusikkultur. Die traditionelle Volksmusik fristet ein kümmerliches Dasein in Trachtenvereinen. Die volksdümmliche Musik feiert reißende Absätze und vernichtet den letzten Rest der Achtung vor der eigenen Musik. Die zarten Versuche des deutschen Folkrevivals in den 70ern ist längst in Vergessenheit geraten. Deshalb lieben wir Deutschen die Volksmusik anderer Völker. Deutsche machen Irish Folk, Klezmer, Afro-Music, Blues, Latin. Wir sind und werden aber immer Gäste in diesen Musikformen bleiben. Deshalb ist es wichtig mit diesen Musikstilen als Deutscher behutsam umzugehen. Der Mittelweg ist gut. Authentische Spielweisen nachzuahmen kann gut sein, aber auch ein wenig lächerlich wirken, wie Japaner die schuhplatteln. Musiken anderer Völker aber total zu verhuntzen und zu vergewaltigen kann auch nicht der Weg sein. Hier ist etwas Fingerspitzengefühl notwendig. Vielleicht kann ja aus den vielen Einflüssen auch wieder etwas eigenes entstehen. Vielleicht besinnen wir uns auch irgendwann wieder wie die Klezmer-Revivalisten auf unsere Traditionen und können diese durch die Einflüsse der vielen Musikstile die wir gelernt haben neu befruchten. Denn daß die deutsche Volksmusik etwas mit uns zu tun hat und uns etwas geben kann, davon bin ich überzeugt.

Viel Spaß beim Referat.
Vielleicht könnten solche Arbeiten ja mal unter Virtual Klezmer veröffentlicht werden. Wie wärs Gus?

Viele Grüße

Marcel


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