Anonym | Montag, den 23. April, 2007 - 10:37 Ich stoße gerade recht zufällig auf diese Diskussion, und möchte einen sehr persönlichen Beitrag (und damit auch anfechtbar) liefern. Ich selber stamme aus einem Haushalt in dem die Shoa im Alltagsleben kein (Gesprächs)Thema war. Über eine Radiosendung die Musik aus unterschiedlichsten Teilen der Welt spielte, und die ich als Grundschulkind immer mit meinem Vater gemeinsam gehört habe, habe ich das erste Mal Klezmermusik gehörtund sie hat mich fasziniert und angesprochen, denn ich merkte dass da etwas Ausdruck fand, was ich fühlte, also letztendlich das, was Musik ja auch erreichen möchte. Mein Weg zu Klezmer war also zuerst die Musik, bevor dann später Informationen über das Leben und Leiden der Menschen hinzugekommen sind. - Heute viele Jahre später (und Musikphasen später) merke ich, dass diese Art der Musik immer noch Sprache für mein eigenes Lebensgefühl ist, aber inzwischen ist mehr dazu gekommen, eine persönliche Betroffenheit. Ich habe Menschen kennengelernt, die, wenn der Krieg länger gedauert hätte, als Kinder aus "Mischehen" ermordert worden wären, auf der Liste standen sie schon. Ich habe diese Menschen als für mich sehr wertvolle Menschen erlebt und in mir ist die Gewissheit entstanden, dass niemand entscheiden darf welcher Mensch ein Recht auf Leben hat und wer nicht, unabhängig von Religion, Kultur, Hautfarbe, Behinderung etc.. Diese innere Haltung führt dazu, dass ich noch bewusster und entschiedener diese Musik höre, singe und liebe. - Wie gesagt, sehr persönliche Worte und bestimmt kein Anspruch auf Vollständigkeit, aber vielleicht EINE (meine) Antwort auf den "Philosemitismus-Verdacht". |
SimoneC | Sonntag, den 22. April, 2007 - 22:13 Kritik an jüdischer Kultur? Damit kann ich gar nichts anfangen. Ich finde jüdische Kultur und jüdische Religion sind zwei paar Stiefel. Mir leuchtet allerdings nicht ein warum man jüdische Lebensweise kritisieren muss oder sollte. Sollte man nicht andere Kulturen auch akezeptieren und stehen bzw. leben lassen können? In meinem Leben spielt jüdische Kultur, jüdische Lebensweise eine Rolle. Ganz klar weil ein Teil meiner Familie dieser Religion angehört hat. Leider gibt es zu möglicherweise noch lebenden Angehörigen keinen Kontakt mehr. Mehr möchte ich dazu aber auch nicht sagen. Mich stören solche Diskussionen irgendwie. Nichts für ungut, aber so Dinge wie "Identitätsuche" oder wie auch immer man das nennen will stören mich. Oder vielmehr die Begriffe und was darunter verstanden wird. Ich bin auf der Suche nach einem Teil meiner Wurzeln, Wurzeln die mir leider verloren gegegangen sind. Und ich bin der Meinung dass das nur Menschen nachvollziehen und beurteilen können die in der selben Situation sind. |
Marcel Largé | Freitag, den 20. April, 2007 - 13:32 Die Begeisterung für jiddische Musik in Deutschland erstaunt mich auch immer wieder. Wenn ich an mich selbst denke, so hängt die Faszination an der Musik zum Teil schon auch mit der deutschen Geschichte und der Shoa zusammen. So ist es mir immer wichtig in unseren Konzerten auch Lieder aus den Ghettos und Lagern zu spielen. Andererseits steht die Musik auch für sich und ist vielleicht gerade dadurch so reizvoll, weil sie westliches und östliches in sich vereint. Ein Aspekt, den mir weder westeuropäische Musik noch z.B. Balkanmusik geben kann. Trotzdem hat das für mich nichts mit Philosemitismus zu tun. Ein weiterer Aspekt der allgemeinen Popularität ist sicher auch das Problem der Deutschen mit der eigenen Volksmusik. Diese existiert für die Generationen nach dem Krieg nur noch als kommerzialisierter Abklatsch, bzw. wurde durch völkische Vereinnahmung schon vorher zerstört. In leiser Suche nach einer Identität entdeckt man dann plötzlich eine Musik mit Liedern, die man verstehen kann, und die dennoch fremd ist. Bereits in den 60/70er Jahren haben sich ja vor allem Deutschfolk-Gruppen, wie Zupfgeigenhansel, Espe oder Peter Rohland an jiddischen Liedern versucht, hier natürlich auch mit einem politischen Hintergrund des Antifaschismus. Ein kleines Erlebnis zu dieser Diskussion noch am Rande: Wir spielten in Würzburg ein Konzert, als gegen Ende sich ein leicht angesäuselter Mensch im Publikum erhob und eine kleine Rede spontan loslies, wie toll es doch wäre, dass man diese Musik heute wieder hören kann, wie dankbar er uns ist dafür und so weiter. Nach dem Konzert kam ich mit ihm in's Gespräch. Er meinte, wie toll es wäre, dass unsere Kulturen sich wieder annähern würden. Erst da wurde mir klar, dass er die ganze Zeit dachte, wir wären Juden. Als ich klarstellte, dass wir waschechte Goijm seien, schwieg er zunächst und wurde dann richtig patzig. Ich würde doch ganz jüdisch aussehen. Er sei jetzt richtig enttäuscht. Das Gespräch begann zu eskalieren. Er wurde immer ungehaltener und beschuldigte uns praktisch des Etikettenschwindels. Seltsame Leute gibt es. |
Eva | Sonntag, den 15. April, 2007 - 12:28 Es ist erstaunlich, mit wie viel Liebe deutsche nichtjüdische Musiker diese alten Lieder singen,mit wie viel Neugierde und Enthusiasmus wird nach Quellen und Texten gesucht, um eine fast zerstörte (verschwundene) Kultur zu beleben. Ich wünschte mir, dass Juden selbst so sorgsam mit ihrem Kulturgut umgehen, wie es manche Deutsche machen.Als Jude kann man nur endlos dankbar sein ohne diese Menschen an ein -ismus zu verdächtigen und damit zu beleidigen.Hoffentlich singen sie auch ihre eigenen Lieder... Shalom Eva |
gus | Samstag, den 14. April, 2007 - 14:43 Die besondere Popularität der jüdischen Musik (erstreckt sich das auch auf andere Gebiete der Kunst? Malerei? Ich behaupte nein, nicht in der Form) auf einen *-mus Begriff zu reduzieren halte ich nicht für angemessen. Damit macht man es sich viel zu einfach, abgesehen von der Negativ-Wirkung solcher *-Mus-issmen. Viele Gründe können eine Rolle spielen, etwa: 1. Jiddisch und Deutsch haben denselben sprachlichen Stamm - d.h. man versteht den Text. 2. In Deutschland gibt es viele Gojim mit mehr oder weniger fernen Verwandschaftsverhältnissen - d.h. auch Suche nach eigener Identität. 3. Auseinandersetzung mit der jüdischen Kultur als Gojim ist meiner Ansicht nach ein Schritt in Richtung normalem Umgang der Kulturen. Philosemitismus-Verdacht zu äussern ist in 95% der Fällen nicht angemessen und schädlich, öfter trifft der Begriff "Neugierde" besser. Mir persönlich stellen sich die Nackenhaare auf wenn ich so etwas lese. Natürlich ist "kritiklosen Idealisierung jüdischer Kultur" nicht erstrebenswert. Ich bin so optimistisch zu behaupten, dass gerade Musiker die als Nicht-Juden diese Musik spielen, dass sich diese besonders sorgfältig mit dieser Kultur auseinandersetzen. |
Lichtblau | Freitag, den 13. April, 2007 - 17:46 Ich recherchiere zur Zeit über die Klezmer-Faszination nichtjüdischer Muszierender, besonders in Deutschland und Österreich. Dass Kinder und Enkelkinder von ehemaligen Nazis, Wehrmachtsangehörigen oder Israel-feindlichen Menschen aus der ehemaligen DDR nun jüdische Musik lieben, macht die Sache verdächtig. Warum es gerade in Deutschland so viele Klezmerbands gibt, bedarf einer Erklärung, die vermutlich mit der Geschichte zu tun hat. Der Philosemitismus-Verdacht ist hart, da Philosemitsmus mit der generalisierenden und kritiklosen Idealisierung jüdischer Kultur und Lebensweise dazu verleiten kann, ins Gegenteil zu kippen. Ich möchte fragen, ob diese Thematik in Ihrem Bekanntenkreis angesprochen wird und wie Sie darauf reagieren. |