Zu Gusikov

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gus

Mittwoch, den 14. Januar, 2004 - 21:11
Einen interessanten Buchausschnitt zu Gusikov von Alex Jacobowitz. Möchte ich Euch nicht vorenthalten:
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BERÜHMTE ISRAELISCHE MÄNNER UND FRAUEN IN
DER KULTURGESCHICHTE DER MENSCHEN von Dr Adolph Kohut,
Volume I, page 133-4
(Famous Jewish Men and Women in the Cultural History
of Man)

Verlag A.H. Payne in Leipzig-Reudnitz, 1888
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Einer der interessantesten Instrumentalisten, die je
gelebt haben, war jedenfalls der hochbegabte Pole
Michael Joseph Gusikow, geboren 1809 (sic) in Slow,
(sic), einem Städtchen in Russisch-Polen, und
gestorben am 21. Oktober 1837, noch nicht 28jährig, in
Aachen. Er verstand es, auf seinem selbstgefertigten
Instrument, der Holz- und Strohfidel, die Bewunderung
der Musiker von Fach zu erregen und das Publikum stets
zu lautem Beifall hinzureissen. Sein Vater, ein armer
Flötenspieler, war zugelich der Erzieher und Lehrer
seines Sohnes. Noten kannte er nicht. Ihn leitete das
Gehör allein; was ihm sein Vater vorspielte, flötete
er nach. Sein Repertoir bestand anfänglich in nichts
als in einigen hebräisch-polnischen Nationalmelodien,
die bekanntlich alle in Moll gehalten sind und in
ihrer elegisch-wehmütigen Lebendigkeit einen
merkwürdig ergreifenden Eindruck auf das Gemüt
hervorbringen. Als ihn jedoch 1831 eine schwere
Brustkrankheit befiel, an welcher er später zu Grunde
gehen sollte, musste er das Flötenspiel aufgeben und
er suchte sich nun auf siner Holz- und Strohfidel zu
vervollkommnen (sic). Sein Ruf verbreitete sich bald
in ganz Russland. In Kiew traf er mit dem berühmten
polnischen Violinspieler Lipinsky, der dort eben
Konzerte gab, zusammen. Dieser ermunterte ihn mit den
Worten:

"Wahrhaftig, ich bewundere Euch, denn Ihr seid ein
grösserer Künstler als ich, denn ich benutzte nur die
Mittel, die mir zu Gebote standen, Ihr aber
verschafftet Euch neue."

In Odessa, wo er im italienischen Theater
Konzerte gab, fand er an dem Grafen Woronzow einen
edlen Gönner, der ihn zu sich auf sein Schloss lud.
Hier brachte er einige Monate zu, während welcher Zeit
er sich oft vor dem berühmten, damals auf Reisen
begriffenen Lamartine produzirte. In Wien machte er
ausserordentlich Sensation, und man wird gewiss noch
heute mit Interesse eine Schilderung Saphirs über das
Auftreten dieses eigenartigen Künstlers lesen:

"Da tritt er heraus in der Nationaltracht seiner
polnischen Glaubensgenoosen, den schwarzen Talarrock
angethan, das schwarze Haar in zwei Locken über beiden
Schläfen, das schwarze Kappel auf dem bedeckten Haupt.
Es spricht eine rührende Elegie aus seinen Zügen, und
diese Elegie hat der Mann in Musik gesetzt, in Töne
umgewandelt, in sonderbare Laute gebracht. Auf Holz
und Stroh, aus Holz und Stroh entlockt er Töne, Töne
der innigsten Schwermut! .... Du bist der Abbé de
l'Epée des taubstummen Holzes, Du hast die gefesselte
Hamadryade in ihm entfesselt und das Holz ist dankbar,
es versteht Deinen Schmerz und klagt mit Dir."

Ein 84 jähriger Greis, Herr Adolph Danziger in
Hannover, der noch Gusikow in den dreissiger Jahren
des vorigen Jahrhunderts im Hamburger Stadttheater
gesehen und gehört hat, hatte die Freundlichkeit, mir
über jenes Konzert des jungen polnischen Juden mit dem
bleichen, wehmütigen Angesicht und den ernsten Zügen
voll Kummers das Folgende mitzutheilen: "Ich scheibe,
dass ich ihn sah, denn schon sein äusseres Auftreten
flösste Achtung ein. Er trat in polnischem Anzug auf,
aber mit grossem Anstand und bescheidener Würde,
unterstützt von geistvollen Gesichtszügen. Die seltene
Beharrlichkeit und Ausdauer, sowie die tiefangelegte
musikalische Empfindung dieses jungen Künstlers
verdienen dauernde Anerkennung. Es wurde ihm viel
nachgepfuscht, aber erreicht ist er nicht worden."

Einer anderen Schilderung entnehme ich, dass man ihm
bei seinem Auftreten einige Bündchen Stroh, viele
Stücke und Stückchen Tannenholz brachte. Die schwachen
metalllosen Töne schlugen anfänglich fremdartig ans
Ohr, aber schon nach einigen Minuten vernahm man
wunderbare Klänge und man wurde unwiderstehlich
hingerissen und der Beifall gestaltete sich zu einem
stürmischen und zügellosen. Auf einer Soirée bei dem
russichen Botschafter in Wien, von Tatischeff, hörte
ihn der damals allmächtige Staatskanzler Fürst
Metternich, der ihn seitdem protegirte und es
veranlasste, dass Gusikow vor dem Kaiser von
Oesterreich spielen durfte.

Der kranke Künstler starb wie der Soldat auf dem
Schlachtfeld, er verschied im Theater mit dem
Instrument in der Hand.


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