Seit dem
“Levine”-Album hatten sich die Konflikte
zwischen den Sängern der Band, Alpert und Sapoznik,
verschärft und fanden im Streit über das Liedrepertoire
ihren Ausdruck. Lauren Brody war mehrmals über
längere Zeit nicht in der Stadt, vom Auffinden
des Klezmer-Materials in den YIVO
Sound Archives durch Henry Sapoznik bis zum
Transkribieren des Materials durch Ken Maltz
verging ziemlich viel Zeit – keine sonderlich
guten Voraussetzungen für das dritte Album.
Vielleicht war es aber gerade dieser Überfluß
an Zeit, der das Album über die Qualität des
Vorgängers hinauswachsen ließ.
Dafür gibt es mehrere Gründe. Zum einen ist
die Abmischung des Albums im Vergleich zu „Levine“
um ein Wesentliches besser; sie erinnert
an den „klassischen“ Mix von
„Future & Past“. Der Stereo-Mix ist
sogar besser. „Ot Azoy“, Bestandteil eines Repertoires,
daß ich problemlos missen kann, beweist es als
das erste Stück des Albums: links die Sekund-Geige,
in der Mitte die Tuba auf den geraden Schlägen,
halbrechts und rechts Akkordeon und Banjo dazu
synkopierend – es gibt dem Stück eine Dynamik,
mit dem man es genießen kann, obwohl es nicht
zu schnell gespielt wird. Das zieht sich durch
das gesamte Album.
Ein weiterer Grund ist das Einbeziehen individueller
Leistungen. Kapelye´s musikalisches Konzept
ist nie gewesen, etwa wie beim Jazz oder dem
Hard Rock der 60er/70er Jahre innerhalb eines
eines Stückes einzelnen Musikern längere Solis
zuzugestehen (wie dies später BOW tun), abgesehen
vom jeweiligen Melodieinstrument und Ken Maltz´s
Klarinette (dies wird in ihrem letzten Album
zur Geltung kommen). Auf „Chicken“ gibt es jedoch
zwei Stücke, die pure Solis sind: „Ziganoff
Medley“, zwei Stücke des legendären Mishka
Ziganoff, mit Lauren Brody am Akkordeon,
sowie „Banjo Doina“ mit Henry Sapoznik am besagten
Instrument, ein gewagtes Unternehmen. Es beginnt
mit einer Doina, die Kapelye von einer
Dave-Tarras-Aufnahme kennen, die es
aber wohl auch von
Joseph Moskowitz
gibt (sowie mittlerweile von fünfzigtausend
anderen Bands). Im weiteren folgen Hora und
Bulgar. Sapoznik wird sensibel von der Band
begleitet, Ken Maltz übernimmt im Bulgar zuweilen
die erste Stimme. Ein sehr gelungener Versuch.
„Der Yid in Yerusholayim“ präsentiert den harten,
akzentuierten Kapelye-Sound, der bereits auf
dem ersten Album vorgestellt wurde. Wieder ist
es der Rhythmus, der für den Wiedererkennungseffekt
sorgt. Ähnliches gilt für „Albukerke“ und „Ot
Azoy“.
Trotz (oder vielleicht wegen) des
Repertoire-Streits der Sänger ist dieses Album
ein Höhepunkt gesanglichen Repertoires. Das
von Sapoznik z.T. auch getextete „Chicken“ wurde
zu einem Kapelye-Klassiker. Es hat mit Sapozniks
Stimme und dem Sound der Band etwas einzigartiges,
was man spätestens bemerkt, wenn man den Song
covern will. Aaron Lebedeffs „Vot
Ken You Makh? Es Iz Amerike!” wurde in Michael
Alperts Interpretation zum zweiten Mal zum Hit
und diente als Vorlage für die Version des Liedes
auf Aufwinds
erstem Album. Alpert steuerte übrigens die Komposition
des Instrumentals „Albukerke“ bei.
Der eigentliche und unbestrittene Höhepunkt
der CD ist jedoch „Der Badkhn“. Musikalisch
präsentiert es die Band mit mehreren Stücken
( u.a. „Tsu der Khupe“, „Russian Sher“, “Firn
di Mekhutonim Aheym“), doch es ist der erste
Versuch des „Klezmer-Revivals“, den Ablauf einer
jiddischen Hochzeit musikalisch und textlich
auf einem Tonträger darzustellen. Kapelye tun
dies im Schnelldurchlauf. Neben der Musik liegt
der Fokus auf dem Zeremonienmeister, dem Hochzeitsunterhalter,
ohne den keine Hochzeit denkbar war: dem Badchn.
Alpert spielt den jiddischen Badchn, Sapoznik
ist das englische Äquivalent (Kapelye wußten,
daß die Mehrzahl ihres Publikums dieses Jiddisch
nicht verstehen wird), und er bringt die Komik
des Badchn ins Spiel. Viele Bands haben späterhin
versucht, eine Hochzeit auf CD zu konzipieren,
und meines Wissens hat es erst zwölf Jahre später
(„Chicken“ kam 1987 ´raus) eine davon geschafft;
in diesem Fall ist Kapelye´s „Der Badkhn“ legitimer
Vorläufer von Budowitz´s
konzeptionellem Meisterwerk
„Wedding Without a Bride“.
„Chicken“ ist nach „Levine“
Kapelye´s zweiter Versuch, einen Teil des
Albums einem Konzept unterzuordnen. Es reicht
an die musikalische Qualität ihres Erstlings
„Future & Past“ heran, geht mit „Der
Badkhn“ z.T. darüber hinaus und ist sehr ordentlich
aufgenommen und abgemischt. Mit „Der Badkhn“
schreibt es gleichzeitig Geschichte innerhalb
des „Klezmer-Revivals“. Es ist das letzte Album,
das Michael Alpert mit der Gruppe einspielt,
auch Lauren Brody wird die Band verlassen; keiner
von ihnen weiß das zu diesem Zeitpunkt. Trotzdem
liegt der eigentliche Höhepunkt von Kapelye´s
recording career noch vor ihnen.
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