August 30
Klezmer Conservatory Band
Hankus Netskys KCB eröffnete das Festival
musikalisch abends 9 Uhr auf dem Molson Place,
einer Open-Air-Bühne mit ca. 2000 Sitzplätzen
(das Harbourfront Centre wird vom kanadischen
Bier-Multi Molson gesponsort und verkauft bedauerlicherweise
auch nur dessen Produkte). Die Band war
ausverkauft, die Karte kostete für Besucher
25 kanadische Dollar. Die Bostoner sind eine
sichere Bank für Großkonzerte, das Publikum
liebte sie; mehrere Zugaben erfolgten. Deborah
Strauss (vom Chicago Klezmer Ensemble) ist nun
die Geigerin der Band, wodurch es kurioserweise
jetzt einen wahrnehmbaren Einfluß der “Traditionalisten”
innerhalb der KCB gibt (Jeff Warschauer unterstützt
dieses Konzept). So konnte man denn eine Gesangsbearbeitung
des “Yismekhu” mit Judy Bressler und Deborah
Strauss erleben. Durchaus denkwürdig.
Deb Margolin: O Wholly Night and Other Jewish
Solecisms
Deb Margolin ist Schriftstellerin, lebt
in New Jersey und hat eine Reputation als Performerin.
Ihre Texte haben mir allerdings besser gefallen;
die Performance bestand im regelmäßigen Standortwechsel
von Sessel (links) und Tisch (rechts), auf dem
sie sich dann räkelte, was aber der Veranstaltung
durchaus Würze gab. Das Stück ging wieder einmal
der Frage nach, was es bedeutet, Jude zu sein.
Margolin ist zu gut, um sich mit den Klischees
zufriedenzugeben; Jude sein heißt für sie, in
allen Lebensumständen auf den Messias zu warten.
Was das wiederum bedeutet, erläuterte sie intelligent,
teilweise witzig, auf jeden Fall unterhaltsam.
August 31
Flying Bulgar Band (das
“Klezmer” wurde aus dem Namen herausgenommen)
( siehe Plattenbesprechung “TSIRKUS” - in Vorbereitung)
Aufwind
Aufwind spielten um 21.30 Uhr auf der Lakeside
Terrace, und sie meisterten ihr Kanada-Debüt.
Sie hatten sich für eine clevere Mischung aus
bekannteren und unbekannteren Liedern, straight
forward klezmer und eigenen, schwierigeren Arrangements
entschieden, und diese Rechnung ging auf. Das
fast ausschließlich jüdische Festivalpublikum
war gespannt, wie die Nichtjuden, die Deutschen,
die Musik wohl spielen würden, das konnte man
spüren, und was sie hörten übertraf offensichtlich
all ihre Erwartungen. Tatsächlich ist die Qualität
der Band, einschließlich die des Jiddischen
der Sänger, um einiges höher als die so mancher
nordamerikanischen Combo. Aufwind waren anfangs
deutlich nervös, doch das gab sich bei zunehmender
und spürbarer Akzeptanz durch das Publikum (Lakeside
Terrace war voll). Am Ende bekamen sie eine
standing ovation. Nach zwei Auftritten in den
USA war dies das dritte Konzert in Nordamerika;
neben Jiddisch sollte sich die Band nun auch
stärker mit Englisch beschäftigen. Aufwinds
Auftritt wurde vom Goethe-Institut in Toronto
gesponsort.
Paradox Trio
Großartiges Konzert in hervorragender Stimmung
im Brigantine Room. Das Trio plus Mr. Matt “Paradox”
Darriau besteht aus Musikern, die sich seit
Jahren nicht nur in NYC, sondern international
einen herausragenden Ruf erspielt haben. Live
noch viel besser als auf CD (1995 bei Knitting
Factory Works erschienen).
September 1
Golus Storytheatre (Toronto-Berlin):
“I Just Wanna Jewify” The Yiddish Revenge on
Wagner
Man stelle sich vor, Richard Wagner hätte
mit seinem Antisemitismus recht gehabt und man
nähme “Das Judenthum in der Musik” ernst. Michael
Wex hat daraufhin den “Ring” neu geschrieben.
“Ein junger Kantor namens Moischmut begibt sich
zu Fuß nach Hochstuß am Rhein, um an einem Wettkampf
teilzunehmen, der von Helbagel, dem bald schon
pensionierte Kantor der Stadt, organisiert wird.
Der Sieger wird Kantor von Hochstuß und bekommt
Helbagels Tochter, Schprintzelinde, zur Frau...”
Neben Michael Wex und meiner Wenigkeit waren
dabei: Denise Williams (Sopran), Dave Wall (tenor),
Sasha Luminsky (Klavier). Regie: Jennifer Romaine
(von Great Small Works, New York). Das Studio
Theatre war voll, man amüsierte sich allenthalben.
September 2
Willy Schwarz “Jewish Music Around the World”
Willy Schwarz ist ein Hexer, der das Publikum
zu verzaubern weiß, und das tut er auch in diesem
Programm. Schwarz ist ein sehr interessanter
Musiker. Er tourte mit Elvis Costello und Tom
Waits (siehe Waits´ Live-Album “Big Time”),
aber auch mit Theodor Bikel und Brave Old World,
war Theatermusiker und Alan Berns erster Akkordeonlehrer.
Und vor einigen Monaten ist er nach Bremen gezogen.
“Jewish Music Around the World” hält was es
verspricht, begleitet wurde Schwarz von einem
Kollegen, mit dem er zwanzig Jahre zuvor in
Bloomington/Indiana aufgetreten war: Torontos
Rick Shadrach Lazar, ein sehr guter Percussionist.
Willy Schwarz´s Vielseitigkeit unterstreicht
sein soeben in Deutschland erstveröffentlichtes
erstes Solo-Album “Live for the Moment”, für
mich ein potentielles “Album des Jahres”.
Dave Douglas & Charms of the Night Sky
Im gerade mal so gefüllten Brigantine Room
fand um 22.00 Uhr das musikalische Ereignis
des Festivals statt, und es hatte nichts mit
Klezmer zu tun. Die Produktion des Werkes wurde
(lt. Programmheft) von Ashkenaz “in tribute
to Dave Tarras” unterstützt, das klingt verdammt
nach einer Ausrede (der künstlerische Leiter
des Festivals, David Buchbinder, Trompeter wie
Douglas, möchte gern bei Douglas Unterricht
nehmen). Aber es war großartig: Dave Douglas
an der Trompete, der legendäre Greg Cohen am
Kontrabaß, Mark Feldman (Geige) und Guy Kluscevek
am Akkordeon – es war das Beste, was ich je
an Freejazz sah. Jeder der Musikanten spielt
scheinbar sein Eigenes, jeder in einem anderen
Rhythmus, und doch “hörst” du den Rhythmus des
Stückes... Man war fast geneigt, dem Festival
die schlechte Organisation zu verzeihen... fast.
Yuri Yunakov Ensemble
Auch kein Klezmer, doch Bulgariens Nummer-1-Saxophonist,
Bulgariens Nummer-1-Akkordeonist, und eine gute
Gelegenheit, Lauren Brody wiederzusehen, die
ehemalige Akkordeonistin und Pianistin von KAPELYE.
Das Yunakov-Ensemble ist eine Offenbarung für
Balkanmusiker und jeden, der diese Musik mag,
und man findet in seinem Programm auch das eine
oder andere Zigeunerstück oder –lied der Region.
Juri Junakow hat die Gruppe mit einer Sängerin
verstärkt, Lauren Brody, die lange Jahren bulgarische
Musik vor Ort studierte, singt die zweite Stimme
und spielt Keyboard. Interessant ist es, Matt
Darriaus Paradox Trio und das Yunakow-Ensemble
miteinander zu vergleichen: Darriau schöpft
aus Balkan- und Downtown-Traditionen, Yunakov
aus der puren Lokaltradition – gemixt mit dem
Tüpfelchen Glitzer und der Idee “zuviel” Hall,
wie man es auch aus Rußland kennt: eigentlich
können die Bands unterschiedlicher nicht sein.
Und beide sind sie gut.
Anmerkungen zu ASHKENAZ
ASHKENAZ ist ein Erlebnis, wenn man als
Besucher dort ist. Es spielen sehr viele Bands
und Theatergruppen, es gibt Aktivitäten für
Kinder, man kann an einer Parade mitbasteln,
Workshops besuchen (dieses Jahr u.a. Juri Junakow)
und Vorträge über die Musik hören (u.a. Zev
Feldman und Hankus Netsky), also eine Woche
lang außer Freitags jeden Nachmittag auf dem
Gelände von Harbourfront verbringen. Zumal einige
Veranstaltungen frei sind (mit rückläufiger
Tendenz).
Als Musiker eine Einladung von ASHKENAZ anzunehmen
kann ich nicht empfehlen. ASHKENAZ ist berüchtigt,
sich zu überbuchen, so daß nicht genügend Geld
für ausreichende Bezahlung aller Künstler zur
Verfügung steht. Die Organisation innerhalb
der Organisation ist schlecht, Verlaß ist nur
auf die Mitarbeiter von Harbourfront. Es gibt
ein Heer von volunteers, Freiwilligen,
die gern helfen, aber keine Entscheidungen treffen
dürfen. Entscheidungsträger sind unauffindbar.
Neuankommende Künstler erkennt man jeweils am
genervten Gesichtsausdruck. Der Tolerierungsbonus
ist beim dritten Festival endgültig verspielt.
David Buchbinder versucht, das Festival von
Klezmer-Musik zu entfernen, und er hat seine
Gründe dafür. Einer davon ist, daß er für sich
und seine Gruppe (die Flying Bulgar Band) keine
Entwicklungsmöglichkeiten auf Klezmer-Gebiet
sieht. Doch das wird auf anderen musikalischen
Gebieten nicht besser werden: Buchbinder laufen
die Musiker davon, so daß die Band nie zum tieferen
Arbeiten kommt.
Kurios, daß das Programmheft des “Festival of
Yiddish Culture” von Fehlern im Jiddischen wimmelt.
Michael Wex, dem es nie vorgelegt worden war,
ist nicht begeistert, als “Yiddish Advisor”
gelistet zu sein.
ASHKENAZ versteht es, der Öffentlichkeit eine
glatte Festivalfassade zu präsentieren; dahinter
stinkt es mächtig. Kein Garant für gute Stimmung.
Mich sieht man dort nicht mehr, wenn sich die
Konditionen nicht ändern.
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